schlimmer geht immer

aus der froschperspektive…

es ist merkwürdig, aber ich habe schon viele menschen getroffen, die sagen – und zwar mit voller inbrunst: „Wenn ich dies/das/jenes nicht mehr kann, dann will ich nicht mehr leben.“ das fängt mit einfachem laufen-können an und endet mit rund-um-die-uhr-vollpflege. ich frage dann meist und mittlweile sogar ruhig und nicht total aggro: „Und woher weißt du, wie es sich anfühlt, dies/das/jenes nicht mehr zu können oder auf fremde hilfe angewiesen zu sein?“ denn immerhin steht meist eine mittelalte, kerngesunde person vor mir.

versteht mich nicht falsch, ich spreche niemandem ab, sein leben selbst zu beenden oder zu entscheiden, was für ihn noch lebenswert ist. da empfindet jeder anders. aber ohne diesen zustand annähernd nachvollziehen zu können, sollte man sich nicht hinstellen und möpen „Das ist kein Leben mehr.“ irgendwie höre ich dann immer nur „Dein leben war kein leben mehr“ DOCH! war es. ja, ich war auf vollpflege angewiesen. ja, ich konnte mich nicht im bett rumdrehen. ja, ich konnte mir auf deutsch gesagt nicht den arsch abwischen. trotzdem war es ein leben. mein leben. und das war noch in vieler hinsicht schön. auch rückblickend. klar, auch mies, scheiße und schwer. aber auch schön und erfüllt. die erfahrungen, die ich damals gemacht haben, machen mich zu dem, was ich bin. ich möchte sie nicht missen. das argument, dass es ja nur eine phase war, zählt nicht. denn damals wurde uns von allen gesagt: das bleibt jetzt so. mit 15 jahren ist das nicht so ganz einfach zu verkraften.

wenn ein als-patient, der kurz vor der beatmung steht bestimmt: „nein, ich will nicht beatmet werden“, ist es etwas anderes. denn der weiß, was es bedeutet. aber ein gesunder, junger mensch? mitnichten.

Wenn mich jemand fragen würde: „ab welchen zeitpunkt würdest du nicht mehr leben wollen?“, könnte ich es nicht sagen. ich weiß es einfach nicht. nicht mal nach alldem.

5 comments for “aus der froschperspektive…

  1. 6. September 2011 at 3:28

    Hmmh, ich bin echt schon jetzt manchmal an dem Punkt wo ich mir denke: SO ist DAS eigentlich kein lebenswertes Leben mehr…Sterben will ich aber def. auch nicht. Meine Verzweiflung bezieht sich auch mehr auf meine Schmerzen. Die bei mir ziemlich wechselhaften motorischen Einschränkungen (von fast normal bis massiv) sind zwar ziemlich irritierend, aber irgendwie habe ich da fast eine Egal-Haltung…Wobei ich keine Tetra-Plegie haben wollte, Aber wenn ich sie doch hätte???? Problem ist auch, dass man nicht nur eine Verantwortung sich selbst gegenüber hat, sondern auch seiner Familie. Ich würde schon gerne eines natürlichen Todes sterben und noch nicht jetzt…Ich will niemanden zurück lassen, der sich dann Vorwürfe macht…Andererseits möchte ich nicht Jahre oder Jahrzehnte mit dieser Qual leben und nichts machen können, weil ich nicht stehen, sitzen. laufen kann…

    Kennst du das Buch von Jean Amery: Hand an sich legen? Muss ich mal wieder lesen…Ist glaube ich 7 Jahre her…Aber ich fand es eine interessante Herangehensweise an den Themenkomplex suizidales Handeln…Mit provokanten Thesen contra einer generellen Pathologisierung…

  2. 30. August 2011 at 9:35

    Es kommt halt drauf an, wie hoch man seinen Qualitätsanspruch ans Leben schraubt…
    Jemand, der nie mit einem einschränkenden Dämpfer fertig werden musste, wird sich gar nicht vorstellen können (oder wollen?), dass das Leben auch lebenswert sein kann, wenn man kleinere Brötchen backen muss. Und dass man so verdammt an diesem Leben hängen kann, dass man bescheiden(er) wird und sich auch über winzigste Kleinigkeiten freut.
    Ich werde mich jedenfalls hüten, die Qualität eines Lebens zu beurteilen – es sei denn, es handelt sich aktuell um mein eigenes 😉

  3. 29. August 2011 at 19:17

    gerne doch 🙂

  4. 29. August 2011 at 19:04

    Wow! Meine Mutter hat OPMD. Obwohl ich einen „guten Draht“ zu ihr habe, verstehe ich manche ihrer Ansichten leider nicht. Dein Beitrag hat ein bißchen geholfen, mehr aus ihrer als aus meiner Sicht zu schauen – Danke!

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