da stehen sie, die drei med-studis an ihrem zweiten tag in der neurologie. da stehen sie und schauen überfordert. anamnese, neurologische untersuchung und später sollen sie den „fall“ also mich, der oberärztin vorstellen. Nur wo anfangen, fragen sie sich kollektiv. Ich beiße mir auf die lippe, meine diagnose darf ich nicht verraten. Aber dass andere hilfe verboten ist, davon war nicht die rede.
und so hangeln wir uns gemeinsam durch die hirnnerven, die kleinhirnfunktionen, sensibilität, reflexe … und das wichtigste (zumindest bei mir): die muskelkraft-prüfung. hört sich einfach an, ist es aber nicht unbedingt. klar, was welcher muskel macht, kann man leicht auswendig lernen. aber wie schätze ich die kraft ein? wie prüfe ich den muskel, ohne dass der patient – unbewusst – schummeln kann, denn viele funktionen kann man kompensieren.
zaghaft tasten sie sich ran. drücken ganz leicht. ein bisschen unbeholfen. rätseln. ist das jetzt volle kraft, also eine fünf oder doch eine vier? ratlos schauen die drei. malträtieren meinen bizeps, trizeps und co. jeder darf mal. sie sind irgenwie niedlich und ein bisschen unschuldig. also helfe ich ihnen. erste lektion: man braucht einen vergleich. am besten also die muskelkraft beim gesunden – also am kommilitonen – testen. damit man ein gefühl dafür bekommt, wo man wie anpacken muss, wie kräftig ein normaler muskel ist. und dann an mir. erleuchtung in den gesichtern. zweite lektion: nicht zu zaghaft, es geht hier um kraft. zu vorsichtig führt zu keinem ergebnis, zu grob auch nicht. dritte lektion: trau dich. üben am patienten mag überwindung erfordern, aber nur so wird das später mal was.
zu hälfte sind wir durch, jetzt gilt es, der OÄ zu präsentieren, die mit dem rest der studis ins zimmer platzt. oje, eine zaghafte nummer ist das. unsicher. ahnungslosigkeit bei der frage, was man jetzt an diagnostik fahren sollte. welche neuromuskulären erkrankungen es überhaupt gibt. die OÄ bleibt geduldig und ich bin die lehr- und übungspuppe für alles mögliche.
nach zwei stunden ist sie draußen, die medizinstudenten-mahala und die OÄ. und ich bin ein bisschen fertig. warum ich das mit mir machen lasse? weil der nachwuchs lernen muss. weil sie wahrscheinlich nicht so viele wie mich zu gesicht bekommen werden. weil zukünftige patienten vielleicht davon profitieren. weil sie lernen, mit patienten zu reden und nicht nur „fälle“ zu präsentieren. außerdem haben sie sich fünfmal bei mir bedankt hinterher. also hat es sich doch irgendwie gelohnt, oder?
(arroganten arschlöchern helfe ich natürlich nicht, die lasse ich auflaufen…)
Das finde ich aber sehr lieb, mutig, geduldig usw. von Dir, dass Du Dich da zur Verfügung stellst. Das würde ja nicht jeder machen. Respekt!
ich sehe es als investitution für den nachwuchs. 🙂
Ich finde es gut und wichtig, dass sich Patienten, und gerade die – danke, blogwesen – “Artenschutzpatienten” für die „Medizinanfänger“ hingeben. Es gibt einfach Dinge, die man nicht aus einem Buch lernen kann – nicht umsonst heißt ein Synonym für lernen auch „begreifen“. Man kann aus einem Lehrbuch nicht lernen, wie weich oder hart sich eine bestimmte Anatomie anfassen sollte. Man kann stundenlang über Herzgeräusche lesen, und hat sie noch nicht ein Mal gehört. Man kann tagelang über Muskelkraft philosophieren, und weiß dabei noch lange nicht, wie schwer sich eine 10kg-Hantel anfühlt…
…Es ist wie beim Leichtraben beim Reiten. Solange man es nicht richtig hinbekommt, ist es einfach ….. unrund, aber man merkt es nicht selber – man bemüht sich wie irre, und irgentetwas passiet ja offensichtlich. Aber wenn man einmal dieses auf und ab richtig hinbekommen hat, ist das ein echtes „Aha“-Erlebnis. Was nicht heißt, dass man es beim nächsten Versuch wieder hinbekommt, aber beim nächsten mal fühlt man, wie schlecht man ist… Und genau diese Aha-Erlebnisse kann man nicht aus Büchern lernen, man muss sie ganz alleine – und jeder für sich – machen. Wird man dabei kompetent und nett angeleitet, ist das um so besser.
Nur ohne den Sprung ins kalte Wasser – oder den durch äußere Krafteinwirkung initiierten schwungvollen Fall in selbiges (ein kräftiger Schubs!) – bleibt alles graue Theorie. Und was wir in unserem Gesundheitswesen (gerade auf Krankenkassenseite) wahrlich zu viel haben, sind Theoretiker…
Das mit dem „Kompensieren“ erinnert mich an ein Buch eines Psychiaters, der als Student mit mehreren Kommilitonen 2 Stunden lang Anamnse und Diagnose eines Patienten erstellt hat – und alle übersahen völlig: Der Patient hatte fortgeschrittene Demens – aber er kompensierte das hervorragend. (Beispiel: Studend: Wie alt sind Sie denn, Herr XY? – Patient: Ich bin Baujahr 1947.)
danke für einen ausführlichen kommentar. mit dem „begreifen“ hast du völlig recht. und genau das kommt beim med-studium viel zu kurz, denke ich.
Ich finde es vor allem wichtig, dass die Mal „seltene Fälle“ zu Gesicht bekommen, bei denen sich die Symptomatik nicht wie in einem Lehrbuch präsentiert.
Dann hat man von Anfang an eine viel höher Aufmerksamkeit und ein Bewusstsein für die Grenzfälle…(Auch wenn es hier um die Basics geht..Dennoch ist man bestimmt auch als Studi, PJler beeindruckt die außergewöhnlichen Menschen und ihre Geschichten Mal kennenzulernen)
Leider verlernen Neurologen ja auch zunehmend das Handwerk, weil sie sich auf 5-10 min Screenings verlassen und den Assistenzärzten nahegelegt wird, dass man nur das untersuchen sollte worüber der Patient sich beschwert und für den Rest man keine Zeit und keinen Bedarf hat…
Bei mir sind erst vernünftige Messungen gemacht worden, nachdem sich ein Neurochirurg mal Zeit genommen hat die Kraft zu prüfen…(Und seitdem ja nichts mehr)
Mir hat ne Ärzteinitiative gesagt, dass die seltenen neurologischen Fälle „Artenschutzpatienten“ seien und man eben ein geschütztes Gehege für die finden muss…Allerdings aufgrund der Privatisierung und der Fallpauschale werden die geschützten Gebiete auch immer weniger…Ich versuche es vermutlich immer noch im absolut gerodeten und feindlichen Gebiet und versuche mich zwischen Kettensäge und Löwenattacke zur Wehr zu setzen oder zu resignieren…
Vielleicht sollte ich doch Mal nach München kommen???
komm nach münchen 😉 und „artenschutzpatienten“ ist wirklich ein tolles bild.
lass dich von den löwen und kettensägen nicht unterkriegen!
Och ja, stimmt, die hören sich ganz niedlich an 😉 Und so lange sie nett sind, klingt das auch nicht so schlimm. Die Arroganten würde ich aber auch knallhart gegen die Wand laufen lassen, vielleicht lernen sie ja was draus 😉 Haha, ich muss auch gerade an die ganzen Geschichten denken, die meine Mutter, Kinderkrankenschwester von Beruf, von den Anfängern erzählt hat. So von Außen sind auch die Arroganten manchmal ganz lustig 😉
ja anfänger sind eben ahnungslos. da sind ärzte gefragt, die gut lehren können und menschlich/persönlich was drauf haben. sonst wird es nichts. um ein klischee zu bedienen (ich weiß, es sind nicht alle so): deswegen wird chirurgen-arschlochtum oft von einer ärzte generation „vererbt“…
Chirurgen sind allerdings oft auch schon im Studium eine erkennbare Gattung, habe ich das Gefühl. Ich bin da schon ein paar Kandidaten begegnet, bei denen mein erster Gedanke war, dass die bestimmt in die Chirurgie wollen, was sich dann auch bestätigte 😉
Ich bin mit meiner kleinen Berührungsphobie allerdings ehrlich gesagt immer froh, wenn sich andere finden, die sich zum Üben für Anfänger zur Verfügung stellen. Wobei ich sicherlich auch eine ganz besondere Herausforderung für Anfänger wäre: Wie schafft man es, mich zu untersuchen ohne dass man herausfindet, warum ich sozial eher unverträglich bin? 😉
Gefällt mir, gefällt mir sehr 😉
Heut bei einer Neurologin war, die konnte es aber schon 🙂
na, dass die neurologin das konnte, davon sollte man ausgehen. wäre ja schlimm, wenn nicht…