schlimmer geht immer

ich bin nicht nur meine krankheit/behinderung/diagnose

da muss was raus aus mir. aus aktuellem anlass muss dieser „brief an die anderen“ einfach raus. weil ich glaube, dass es nicht nur mich betrifft, mit meiner beschissenen muskelkrankheit, sondern alle chronisch kranken, menschen mit behinderungen, etc.bunte pillen

liebe andere,

ich weiß, ihr meint es gut. ihr wisst einfach manchmal nicht, wie ihr mit mir umgehen sollt. ihr macht euch sorgen, ihr interessiert euch für mich, ihr wollt helfen. nur leider verliert ihr dadurch mich als person, als persönlichkeit aus den augen, und beschränkt eure und auch meine möglichkeiten. der interaktion, der kommunikation, der emotion. wenn ihr zum 346. mal fragt, wie es mir geht, mit diesem undefinierbaren ausdruck in den augen, möchte ich (entschuldigt bitte die härte), einfach reinschlagen.

denn was ihr hören wollt, das betrifft nicht mein liebesglück, meinen joberfolg, mein highlight der woche, meinen neuen hund. nein, ihr wollt wissen, was die krankheit macht. aus einer sehr positiven intention heraus. was es nicht besser macht für mich, nur schwerer. schwerer, euch beizubringen, dass ich nicht aus dieser krankheit bestehe. und weil ich das manchmal nicht kann, euch vor den kopf zu stoßen, erzähle ich, wie es mit geht. nein, nicht von meinem liebesglück, dem joberfolg, dem highlight der woche oder dem neuen hund. nein, ich erzähle von blutbildern, symptomen, arztbesuchen etc. dann lobt ihr meistens, wie stark ich doch wäre, und dass ich das bestimmt alles schaffen werde. weil, es geht ja schließlich immer weiter. ja, ihr habt recht, es geht weiter. aber bitte hört auf, das „stark“-etikett auf mich zu kleben. denn das erstickt nicht nur die möglichkeit, mich wirklich an euch zu wenden, wenn ich es brauche. es zeugt auch von mitleid in seiner schlechtesten natur. denn mitleid „ist so gut wie immer das gegenteil von respekt, mitleid findet nie auf augenhöhe statt.“ ich weiß, es klingt hart und lässt euch vermutlich ratlos zurück. denn ihr wisst jetzt erst recht nicht, wie ihr euch verhalten sollt. wie sollt ihr auch? der balanceakt zwischen „da-sein bei problemen“ und „alltag“ ist kein leichter – niemand „kann“ das einfach so. aber ihr könnt üben. und es ist auch nicht schlimm, wenn ihr das ein oder andere mal in die „wie geht es dir?-mitleid-schiene“ zurückfallt. Vielleicht helfen euch diese 7 Punkte dabei, anders zu denken und die ratlosigkeit zurückzulassen.

  • #1 ihr habt auch ein leben. lasst mich teilhaben, erzählt mir davon. auch von euren problemen, eurem liebesglück, eurem highlight der woche. und nein, eure probleme sind gegen meine keine nichtigkeit – es gibt niemanden, der schwierigkeiten gewichtet!
  • #2 die „wie geht es dir-frage“ sollte nie eine floskel sein. wenn ihr sie stellt, müsst ihr mit der antwort umgehen können, auch wenn sie negativ ist. habt ihr eine zeit, in der ihr mit der antwort nicht umgehen könnt, lasst die frage einfach weg. das ist nicht schlimm.
  • #3 bitte vermeidet postkartensprüche wie „es geht immer weiter“ und „du schaffst das“. ich weiß, diese sätze sind nur der ausdruck von hilflosigkeit, weil ihr nicht wisst, was ihr sagen sollt. aber denkt, etwas sagen zu müssen. ihr müsst nichts sagen, schweigen kann auch sehr schön sein. oder der einfach satz: ich weiß nicht, was ich sagen soll. auch das ist nicht schlimm.
  • #4 reduziert mich nicht auf eine diagnose. sie ist ein teil von mir, aber nicht mein zentrum. fragt mich nach meinem liebesglück, meinem highlight der woche, meinem joberfolg und zwischendrin vielleicht nach meiner gesundheit. als einem teil des ganzen, aber nicht als wichtigsten, einzigen punkt.
  • #5 baut tabus ab. lasst den eiertanz sein. jede frage kann gefragt werden, ich muss ja nicht auf jede antworten. ihr müsst nicht bei jedem thema überlegen: trete ich ihr damit zu nahe? wenn dem so ist, sage ich es. wer ständig darüber nachdenkt, ob und wie etwas korrekt zu formulieren ist, beschränkt sich. beschränkt mich.
  • #6 seid so egoistisch, wie ihr es zu jedem anderen menschen sein würdet, der kein problem hat. traut euch, auch mal zu sagen „du, ich kann das jetzt im moment nicht haben, ich brauch grad meine kapazitäten“
  • #7 denkt weniger. seid mehr. seid authentisch. und dann: lasst euch überraschen!

danke, frau k.

PPS: wem noch der ein oder andere punkt einfällt, möge ihn gern ergänzen…

 

2 comments for “ich bin nicht nur meine krankheit/behinderung/diagnose

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